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Predigt
Musikalischer Gottesdienst 25. Mai 2003 Neckarhausen
"Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes"
(Zur gleichnamigen Kantate von Dietrich Buxtehude und mit Deutungsversuch des Chorfensters
"Liebe" von Andreas Felger in der St. Bernhardskirche
Neckarhausen)
Teil 1: Gott ist Liebe
(1. Joh 4) mit Deutung des Chorfensters |
Teil 2: Nichts kann uns scheiden von
der Liebe Gottes (Röm 8) unter Bezugnahme zur Kantate von D. Buxtehude) |
1.
Teil
Liebe Gemeinde!
„Gott ist Liebe“ – das scheint eine Allerweltsaussage zu sein. Viele –
nicht nur Kinder, sondern auch Nichtgläubige – reden vom „lieben Gott“
und meinen damit ein recht harmloses Gegenüber, mit dem man machen kann, was
man will.
Doch die Bibel redet nicht vom „lieben Gott“, sondern so, wie wir es eben
aus dem 1. Johannesbrief gehört haben: „Gott ist Liebe!“ Gott und Liebe
werden hier in einem Atemzug genannt.
Aber was ist „Liebe“?
Viele Aussagen aus Schlagern und Volksliedern fallen einem da ein – „Ich
lieb’ dich“ in allen Variationen, „Das Lieben bringt groß Freud’“
- doch alles mehr oder weniger oberflächlich, sentimental und
nichtssagend. Dem Geheimnis der Liebe Gottes bringen sie uns nicht näher. Also
müssen wir uns dem, was „Liebe“ ist, etwas anders nähern –
unkonventionell, unüblich.
Ich spare Ihnen dabei eine Auslegung, die ich bei einem meiner
Theologieprofessoren in Tübingen gelernt habe. „Liebe ist inmitten noch so
großer Selbstbezogenheit eine immer noch größere Selbstlosigkeit“.
Lassen wir das!
Viel näher liegt uns unser Kirchenraum in Neckarhausen. Das mittlere der drei
Chorfenster von Andreas Felger trägt den Titel „Liebe“ – neben den beiden
„Glaube“ und „Hoffnung“.
Ich
weiß nicht, wie es Ihnen beim Anblick dieses mittleren Fensters geht. Ob sie
darin sofort etwas mit Liebe verbinden können. Das Fenster enthält ja keine
figürliche Darstellung, sondern spricht nur in den Formen und Farben des
Glasmalers. Da ist viel Spielraum für eigene Interpretationen und Entdeckungen
– immer wieder neu.
Ich möchte keine verbindliche
Interpretation dieses Fensters vornehmen, sondern Ihnen mitteilen, warum und wie
es mir den Satz „Gott ist Liebe“ nahe bringt und näher auslegt!
Wo kommt in diesem Fenster überhaupt Gott vor?
Das Fenster soll die christliche Haupttugend, die Liebe symbolisieren. Deshalb
steht das Fenster in der Mitte zwischen „Glaube“ und „Hoffnung“. So wie
es im 1. Korintherbrief im 13. Kapitel heißt: „Nun aber bleiben Glaube, Liebe
Hoffnung – die Liebe aber ist die größte unter ihnen“.
Liebe – eine durch und durch menschliche Tugend.
In der Bibel wird sie mit Gott gleichgesetzt: „Gott ist Liebe“ – Hören
wir genau hin: Es heißt nicht „Gott ist mit der Liebe von Mensch zu Mensch zu
vergleichen“ also nicht , „Gott ist wie die Liebe“, oder „Gott hat
Liebe“, oder „Gott liebt“ – Nein: Gott ist Liebe – Gott und
Liebe werden gleichgesetzt ! So kühn und vermessen redet der 1. Johannesbriefs
von Gott. Es ist die einzige „Ist“-Aussage von Gott in der ganzen Bibel!
Und ich denke, dieselbe Kühnheit zeigt sich auch im Fenster von Andreas Felger.
Schauen wir also einmal genau hin:
Im Zentrum steht Rot. Umgeben von einer Hülle in Form eines spitzen Ovals, das
senkrecht aufgestellt ist.
Künstler und Kunstkenner nennen diese Form „Mandorla“
Vor allem in den Ikonen der orthodoxen Ostkirchen ist die Mandorla sehr beliebt.
Sie entspricht dem „Heiligenschein“ in den Bildern unseres Kulturkreises. In
einer Mandorla wird „Heiliges“ abgebildet – Mit der Mandorla sagt der Künstler:„Hier
ist Göttliches“ - hier ist Gott.
Gott ist Liebe.
Entgegen dem ersten Eindruck ist die Hülle der Mandorla in unserem
Kirchenfenster nicht vollständig in sich abgeschlossen. Wie Zwiebelschalen
legen sich da verschiedene gebogene Schalenstücke um die Mandorla herum –
manchmal brechen sie unvermittelt ab und eine Schalenhaut berührt die andere.
So wirkt das Rot der Liebe nicht in sich abgekapselt, sondern von innen nach außen
durchlässig und umgekehrt.
Rot, Blau und Grün dominieren in unterschiedlicher Kräftigkeit in den Schalenhäuten
der Mandorla. Manchmal vermischen sich diese Farben in den Schalen zu violett
oder auch zu leichtem orange und gelb.
So wie sich Glaube, Liebe und Hoffnung auch im Leben untereinander vermischen
und einander brauchen – immer mit einem mehr oder weniger großen Schuss Liebe
gefärbt.
Was wäre christlicher Glaube schon ohne die Hilfe für die Bedürftigen? Und
wie könnte man Bedürftigen und Notleidenden Liebe erweisen ohne Hoffnung und
ohne Glauben?
So vermischen sich Liebe, Glaube und Hoffnung immer miteinander.
Im Zentrum unserer Chorfenster steht freilich das Rot der Liebe in der Mandorla.
Im Innern glüht es wie ein Feuer und will nach außen scheinen, das Außen mit
warmem Licht verwandeln. Das ist für
die Liebe nicht ungefährlich. Außerhalb der Mandorla ist in den großen Flächen
fast kein Rot-Ton mehr zu erkennen, nur das matte Weiß des Fensters. Fast so
wie im alltäglichen Leben, wo man häufig Anzeichen der Liebe mit der Lupe
suchen muss.
Doch die Liebe hält das aus. Gott hält es so unter uns aus! Gott zieht sich
nicht in irgendeinen wohligen und kuscheligen Raum der Geborgenheit zurück, wo
wir ihn dann suchen müssen!. Nein Gott, die Liebe, geht hinaus, verausgabt
sich, lässt sich auf die Sprunghaftigkeiten und Widrigkeiten des Lebens von uns
Menschen ein!
Die rote Mandorla ist in deshalb in unserer Kirche so positioniert, dass der
Gekreuzigte direkt vor ihr am Altarkreuz hängt.
Gott setzt sich bis zum Tod am Kreuz uns Menschen aus, damit wir leben können.
„Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen
eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns
geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“
Gott setzt sein Herzblut für uns ein, damit das kalte Weiß des Alltags mit dem
warmen Rot der Liebe durchdrungen wird und wir leben können – trotz aller
Lieblosigkeit und Schuld immer wieder neu anfangen dürfen. So ist er die Liebe.
Noch ein letzter Gedanke zum „Liebesfenster“ von Andreas Felger. Es gab und
gibt einige Stimmen in unserer Gemeinde, die – meistens hinter vorgehaltener
Hand – dieses Fenster etwas derb „eine Sauerei“ nennen. Nun: so ganz
allein werden sie nicht sein. Manch anderer wird auch schon dieselben
Assoziationen beim Anblick der Mandorla gehabt haben. Aber beim Gedanken, dass
es sich um ein Fenster in einer Kirche handelt, hat er diese Assoziationen
schnell ins Reich der schmutzigen Phantasie verbannt.
In der Tat: Die Mandorla gleicht einer geöffneten weiblichen Vagina, einer geöffneten
weiblichen Scheide. Sex ist dann hier das Thema.
Wirklich eine „Sauerei“ in einer Kirche?
Nun: Sexualität gehört auch zu Liebe. Sie ist die körperliche und
berauschende Seite der Liebe. Und ich denke, dieses Moment gehört zur Liebe
Gottes dazu. Gottes Liebe zu uns Menschen ist nie nur „platonisch“, nie nur
geistig, sondern immer auch handfest und leibhaftig. Gott ist schließlich der
Schöpfer von allem, auch der Schöpfer der Sexualität. Und er zeigt sich und
seine Liebe leibhaftig in einem Menschen, in Jesus, der schließlich am Galgen
des Kreuzes endet. Gottes Liebe ist Herzenssache und Körpersache. Gott liebt
uns mit Haut und Haaren.
Gott ist Liebe, die auch das sexuelle Element beinhaltet!
Aber Achtung! Es heißt nicht: Gott ist Sexualität. Vor dieser Verwechslung
warnen die biblischen Schriften des Alten Testaments häufig. Die Israeliten
waren immer wieder in der Gefahr, ihren Gott falsch zu ehren, mit
Fruchtbarkeitsriten, wie sie es von ihrer Umwelt lernten. Da wurden
Baal oder Astarte - oder wie die Fruchtbarkeitsgötter auch immer hießen
- manchmal in berauschenden sexuellen Orgien im Tempel verehrt.
Gibt es da einen Unterschied zu heute? Auch heute meinen viele, im sexuellen
Rausch allein sei das Glück zu finden, die höchste Erfüllung – gleichsam
ein Gottesersatz.
Vor solcher Vergötterung der Sexualität warnen die biblischen Schriften, nicht
vor dem schöpfungsgemäßen guten Gebrauch der Sexualität.
Trotz dieser Abgrenzung: Gott ist Liebe – die Anspielung unseres
Kirchenfenster auf das sexuelle Moment dürfen und sollen wir nicht unterdrücken.
Könnte die Anspielung auf die Vagina der Frau nicht noch tiefere Bedeutung
haben? Kommt in ihr nicht die Mütterlichkeit Gottes zum Ausdruck? Dass Gott
nicht nur wie ein Vater ist, der den verlorenen Sohn aufnimmt, sondern voller
Liebe ist wie eine Mutter?
Aus der Scheide kommt bei der Geburt neues Leben – ein Kind der Liebe. Aus
Gottes Liebe sind wir Kinder der Liebe, jeder und jede: gewollt, geehrt, umsorgt
und beschützt und tagtäglich neu von der Liebe umfangen!
„Sehet welch’ eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, dass wir Gottes Kinder
sollen heißen!
Lassen wir es uns von einem Terzett zusingen.
2. Teil
„Nichts – nichts – nichts. Nichts soll uns scheiden von der
Liebe Gottes! - auch nichts
Hohes!“
Wir kennen alle das „Hohe“ - die Zeiten des Erfolgs, wenn wir in der
Karriereleiter ein Stück nach oben gestiegen sind, wenn wir etwas Langersehntes
erwerben konnten – das eigene Haus, ein Auto. Zeiten, in denen wir seelisch
und körperlich „gut drauf“ waren, in denen rundherum alles stimmig war.
Wo ist Gottes Liebe in diesen Zeiten, wenn wir nur so vor Kraft strotzen, zu
Recht stolz sind auf das Geleistete und unseren Erfolg? Nicht selten meinen wir,
wir könnten die ganze Welt aus den Angeln heben.
Buxtehude komponiert diese Stelle bewusst im tänzerischen ¾ Takt
(Walzertakt)– eben so, wie wir uns fühlen, wenn uns im Leben etwas gelingt.
Nichts kann uns trennen von Gottes Liebe - auch solche Höhenflüge nicht. Wir
verdanken sie der Liebe Gottes.
Denken wir in solchen Zeiten und Momenten daran oder sonnen wir uns im Glanz des
eigenen Erfolgs? Da stehen doch wir im Mittelpunkt, unsere Leistung,
unser Vermögen. Meinen wir, an dieser Stelle Gott nicht zu brauchen? Obwohl
Gott, die Liebe, auch hier präsent ist, wenn nicht in „Forte“ so doch im
„Piano“.
Hören wir hier die leise Frage von Gottes Liebeswerben: Willst du auch als
Erfolgreicher die Liebe Gottes weitergeben? Willst du als Bemittelter dich für
Arme und Schwache einsetzen und ihnen ihr Recht zukommen lassen? Willst du auch
hier echte Liebe weitergeben – nicht die herablassende Liebe des Überlegenen,
des Siegers, einer Liebe, die wenig kostet, mit der er seinen Erfolg noch mehr
auskostet, indem er ihn seine Angewiesenheit auf ihn spüren lässt?
Die leise Stimme von Gottes Liebe fragt uns dies in solchen „Hoch-Zeiten“.
Doch häufiger als Höhen erleben viele Menschen die Tiefen.
Tiefen kommen unvermittelt. Man tappt in sie hinein – vielleicht gerade dann,
wenn man sich sicher fühlt.
Zumindest die Chorsänger haben es gemerkt: Am Anfang der Kantate setzte der
Chor stets auf den ersten Taktschlag ein – Das sitzt richtig tief in einem
drin. Man singt voller Überzeugung: „Nichts –
- nichts - nichts.
Doch dann komponiert Buxtehude auf den ersten Taktschlag plötzlich eine Pause.
So als ob er warten wolle, ob wirklich etwas kommt, was mich von der Liebe
Gottes trennen kann. Klar: Da kommt kein Ton des Chores – aber eine Lücke,
eine Pause zwischen den überzeugenden Akkorden des „Nichts, nichts, nichts“
ist entstanden.
So wie im alltäglichen Leben.
Ich kenne die Zeiten und Momente, in denen ich der vollständig von der Liebe
Gottes überzeugt bin – ich fühle mich geborgen, bin ausgeglichen, eine fast
stoische Ruhe erfüllt mein Herz.
Ich will diese kräftige Lebensmelodie weitersingen, muss aber plötzlich
innehalten. Ich gerate ins Stocken – eine Pause tritt ein.
Bei Buxtehude nur die Pause kurz – andere Komponisten benutzen dazu einen
ganzen Takt, eine sogenannte Generalpause.
Ja kann mich wirklich nichts von der Liebe Gottes trennen?
Ich musste doch gerade erleben: Mir wurde mein Liebstes, mein Liebster genommen
- der Ehegatte, mein kleines Kind
Mir droht der Verlust des Arbeitsplatz oder ich habe gerade meine Kündigung
erhalten.
Ein kleines Wehwehchen entpuppt sich plötzlich als eine schwerwiegende,
todesbedrohende Krankheit.
Eine Pause, ein kurzes Innehalten.
Da drängt es einen weiterzusingen oder man wird gedrängt, weiterzumachen als wäre
Nichts. „Das Leben muss weitergehen!“ heißt es oft.
Doch: Ob man will oder nicht: Eine Pause ist fällig!
Manchmal dauert die Pause sehr lang, weil mich der Schicksalsschlag richtig zu
Boden geworfen hat. Die Liebe Gottes - ganz weit weg.
Aber: So wie die Schalen der Mandorla in unserem Kirchenfenster manchmal wie
abgebrochen wirken, aber doch ganz nah bei der Liebe Gottes sind, so kann es uns
auch gehen: Wir sind ganz nah an Gottes Liebe, bzw. Gottes Liebe ist uns ganz
nah – auch wenn wir sie nicht sehen oder spüren.
„Gottes Liebe ist wie die Sonne, sie ist immer und überall da. Hinter dunklen
Wolken scheint sie strahlend hell.“ – heißt es in einem moderneren
Kirchenlied.
Hinter dunklen Wolken scheint sie strahlend hell.
Wir Menschen erleben immer wieder, wie sich die Wolken verziehen – manchmal
vollständig, manchmal lösen sie sich nur ein wenig auf, manchmal geben sie
auch nur einen kleinen Spalt für die Sonne frei:
Durch die Liebe anderer hellt sich mein Leben auf. Ein Bekannter sagt mir ein
gutes Wort, ein Lächeln eines Mitmenschen muntert mich auf, ein unerwartetes
Geschenk lässt mich dankbar werden.
Neue Hoffnung beflügelt mein Leben.
Das Leben kann neu aufblühen. „Nichts kann uns scheiden von der Liebe
Gottes“ – es ist wahr!
Amen.
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