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Was wird vollendet?

»Alle Lust will Ewigkeit -, will tiefe, tiefe Ewigkeit«, sagt Friedrich Nietzsche (1844-1900). Alles Schöne im Leben verlangt nach Unvergänglichkeit. Weil in unserem Leben aber alles vergänglich ist, darum weisen die Augenblicke der Erfüllung über sich hinaus auf eine Vollendung. Gibt es diese Vollendung? Diese Urfrage der Menschheit verschärft sich im christlichen Glauben.

Wenn Gott zu einem Menschen ja sagt, dann ist dieses Ja bedingungslos und total. Die Theologie bezeichnet diesen Vorgang als Rechtfertigung.

Das neue Verhältnis zu Gott soll sich in unserem Leben auswirken. Das tut es aber nur teilweise. Die alten Kräfte der Verschlossenheit und Selbstbezogenheit sind bis zu unserem Lebensende in uns wirksam. Sie liegen im Streit mit den neuen Kräften, die wir von Gott empfangen. Paulus redet hier vom »Kampf zwischen Fleisch und Geist«

Einerseits können wir die Erfahrung machen, daß wir zu neuen Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen gelangen, andererseits schmerzt es uns, daß wir so oft in alte, schon überwunden geglaubte Muster des Denkens und Handelns zurückfallen. Dabei spricht das Neue Testament deutlich vom »neuen Leben« in denen, die an Christus glauben. Wo sehen wir etwas davon? Häufig ist es anderen, ja auch uns selbst verborgen. Der Christ lebt in einem inneren Widerstreit: Er vernimmt, daß er ganz bejaht ist, aber er erfährt, daß er nicht so ist, wie er sein möchte. Dieser Konflikt löst sich in unserem Leben nie. So ergibt sich die Frage: Bleibt unser Leben ein Torso, etwas Unvollendetes? Wenn es eine Vollendung gibt, dann kann sie nur jenseits der Todesgrenze liegen. Gott läßt unser Leben nicht unvollendet. Er bringt zum Ziel, was er in uns angefangen hat.

Was heißt »Auferstehung der Toten«?

Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode findet sich in vielen Religionen. Eine klassische Form, in der sie sich ausdrückt, ist die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Diese Auffassung, die von den alten Griechen auf uns gekommen ist, prägt bis heute das Denken über das Leben nach dem Tode: Der Körper zerfällt, aber die Seele, der eigentliche Kern des Menschen, überdauert den Tod. Nicht das Materielle, nur das Geistige kann Unvergänglichkeit beanspruchen. Demgegenüber nimmt sich die biblische Hoffnung auf Auferstehung der Toten oder gar - wie das Apostolische Glaubensbekenntnis wörtlich sagt - des Fleisches primitiv aus. Unser Körper wechselt seine Zellen im Lauf unseres Lebens einige Male, und da redet das Christentum von Auferstehung! Was meint diese Lehre wirklich? Das läßt sich nicht theoretisch entwickeln. Von der Auferstehung Jesu her, durch die Gott auf die Erwartungen und Sehnsüchte der Menschheit nach ewigem Leben geantwortet hat, kann man einiges deutlich machen:

Auferstehung ist nicht Wiederbelebung eines Toten, sondern radikale Verwandlung. Zwischen dem irdischen und dem neuen Leben besteht ein Bruch (Diskontinuität).

Es ist derselbe Mensch, dem Tod und Auferstehung widerfahren. Die Identität der Person bleibt. Somit besteht zwischen dem irdischen und dem neuen Leben ein Zusammenhang (Kontinuität). Dieser Zusammenhang bezieht sich auf den ganzen Menschen in seiner Leiblichkeit, nicht nur auf die Seele.

Im Gegensatz zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele hält biblische Anschauung an der Einheit und Ganzheit des Menschen fest. In diesem Punkte stimmt die Bibel mit den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen vom Menschen überein. Man kann den Menschen nicht in verschiedene Teile aufspalten, die für sich existieren. Auferstehung heißt: Der ganze Mensch als Leib, Seele und Geist ist zu ewiger Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Derselbe Mensch, der hier lebt und stirbt, soll auferweckt werden. Seine Leiblichkeit gehört unabdingbar zu seiner Identität. Mein Leib ist nicht ein Kleid, das ich abstreifen kann. Zu mir gehört auch meine Lebensgeschichte. Vor Gott ist der Mensch einmalig und unverwechselbar. Deshalb wird in die Auferstehung all das hineingenommen, was dem Menschen diese Einmaligkeit gibt: sein Leib, seine Geschichte.

»Die künftige Auferstehung der Toten wird offenbar machen, was jetzt schon für den unserem Leben gegenwärtigen ewigen Gott das Geheimnis unserer Lebensgeschichte bildet ... Es ist tatsächlich dasselbe Fleisch, es ist die ganze Ausdehnung unseres gegenwärtigen Lebens, die am Gegensatz zu ihrer menschlichen Bestimmung im Gericht Gottes vergehen oder durch Teilhabe an seiner Ewigkeit und Herrlichkeit verewigt und verherrlicht werden wird« (Pannenberg).

Wir hoffen nicht auf eine »private« Beziehung zwischen Gott und der einzelnen Seele, sondern auf die Gemeinschaft aller Vollendeten mit Gott und untereinander. Deshalb stellt das Neue Testament die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht als universales Ereignis dar, das alle Menschen gemeinsam betrifft.

aus: Ev. Erwachsenenkatechismus S.888f