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READER—Was kommt nach dem Tod?

Textfeld: Die Scheol: Schattendasein statt Weiterleben nach dem Tode
Das Alte Testament kennt über viele Jahrhunderte hinweg keinen Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod. Unmißverständlich faßt dies Jes 26,l4 ins Wort: ,,Die Toten werden nicht leben, die Verstorbenen stehen nie wieder auf (...); jede Erinnerung an sie hast du getilgt.“
Zwar kommen nach der gängigen alttestamentlichen Überzeugung die Gestorbenen ins Totenreich, hebräisch: Scheol, was wörtlich so viel wie 
,,Nicht-Land“ oder ,,Un-Land“ heißt. Das aber bedeutete gerade kein Weiterleben nach dem Tod, sondern ein Eingehen in die Unterwelt. Deren räumliche Ansiedlung in der ,,Tiefe" und die Vorstellung des 
,,Hinabfahrens“ ergab sich aus der Erfahrung, daß die Toten in eine Grube ins Erdreich gelegt wurden, aus der sie nicht wieder hervorkamen. Die Israeliten dachten sich die Scheol als geschlossenen Raum unter der Erdscheibe in den ,,Tiefen der Erde“ (Ps 63,10), als ,,tiefstes Grab“ (Ps 88,7) und ,,tiefste Grube“ (Ps 55,24), als ,,finstere Nacht“ (Ps 88,7), als ,,Land des Dunkels und des Todesschattens“ (Ijob 10,21), als ,,Land des Schweigens“ (Ps 94,17) und ,,des Vergessens“ (Ps 88,13).
Die alttestamentliche Gotteserfahrung: Gott und Leben gehören zusammen
Der Tod bedeutete nicht nur das Ende aller Gemeinschaft mit den Lebenden, sondern vor allem die totale Trennung von Gott. Das - und nicht das biologische Lebensende als solches - machte den Tod auch so beklagenswert:
Daß Gott nicht mit den Toten und dem Totenreich in Verbindung gebracht wurde, hing wesentlich an der alttestamentlichen Gotteserfahrung: Gott wurde erlebt und erfahren als ein Gott des Lebens und damit als ein Gott für die Lebenden. Wo Jahwe war, war Leben. Das aber bedeutete umgekehrt: Wo Tod war, dort konnte Gott nicht sein. Hätte Gott auch mit den Toten Gemeinschaft, wäre das Totenreich nicht mehr das Totenreich. Darüber hinaus spielte auch eine Rolle, daß sich Israel vom Totenkult seiner Nachbarvölker abzusetzen suchte, in dem es eine Konkurrenz zum Glauben an Jahwe als dem einzigen Herrn des Lebens sah.
Dies bedeutete freilich keineswegs, daß es in Israel nicht auch eine Hoffnung über den Tod hinaus gegeben hätte. Nur richtete sie sich in einer Zeit, in der nicht der einzelne, sondern das Volk und der Stamm im Mittelpunkt des Denkens stand, nicht auf das individuelle Weiterleben. Entscheidend war vielmehr das Fortleben in den eigenen Nachkommen, der Bestand des eigenen Namens und vor allem der Bestand der Gemeinschaft, der Gott auch in Zukunft Schutz und Heil zukommen lassen sollte. Dies alles war viel bedeutungsvoller als das eigene Schicksal nach dem Tod.

aus: Sabine Pemsel-Maier, Der Traum vom ewigen Leben, Stuttgart, 2000 S. 34ff